Was ist bloß im Taunus
los?
61 Jahre lang
hatte die CDU in Bad Homburg das Sagen. Nun wird in der Millionärsstadt am
Taunus Michael Korwisi Oberbürgermeister - ein Grüner, der erste Hessens. Von
Bernhard Biener
BAD HOMBURG, 11. Mai
Die
nüchterne Nachricht lautet: Die Kreisstadt des Hochtaunuskreises hat künftig
einen grünen Oberbürgermeister. Michael Korwisi tritt im September die
Nachfolge von Ursula Jungherr (CDU) an. Dahinter verbirgt sich ein
Kulturschock. Von den ersten Nachkriegsjahren abgesehen hat noch immer die CDU
in Bad Homburg das Stadtoberhaupt gestellt - seit 61 Jahren. Doch vor zwei
Wochen lag Amtsinhaberin Jungherr plötzlich im ersten Durchgang der
Oberbürgermeisterwahl um 40 Stimmen hinter ihrem Herausforderer von den Grünen.
Der Kandidat der SPD, Karl Heinz Krug, war erst seit kurzem in Bad Homburg
politisch aktiv und schied im ersten Wahlgang aus. In der Stichwahl an diesem
Sonntag deklassierte Korwisi mit 59,5 Prozent der Stimmen die Amtsinhaberin. Er
wird damit zugleich der erste grüne Oberbürgermeister Hessens.
Das Ungeheure, das in diesem Vorgang
steckt, bedarf der Erklärung. Wer den Wechsel zum politischen Prinzip erhebt,
weil ihm das Beispiel des amerikanischen Präsidenten so gut gefallen hat, käme
nicht auf die Idee, es damit ausgerechnet in Bad Homburg zu versuchen. Die
Kurstadt am Fuß des Taunus führt Wohlstand und Beharrlichkeit schon im
Untertitel. Mit "Champagnerluft und Tradition" wirbt das
Stadtmarketing. War der französische Perlwein ursprünglich nur eine Anspielung
auf das Reizklima des Mittelgebirges und dessen prickelnde Luft, so passt er
doch zum Luxus, den die 50 000-Einwohner-Stadt ausstrahlt. "Das reiche Bad
Homburg" ist ein geflügeltes, von Neid nicht immer ganz freies Wort in den
Nachbarkommunen der Rhein-Main-Region.
Diese Einschätzung beruht nicht nur auf
der guten Finanzausstattung, zu der die Spielbank beiträgt, sondern auch auf
der Einwohnerstruktur. Wer in Frankfurt viel Geld verdient, genießt nach
Feierabend den Blick vom Taunus hinab auf die Bankentürme. Die CDU konnte sich
in Bad Homburg auf eine strukturelle Mehrheit verlassen. Doch wie so oft, wenn
die äußeren Feinde schwach sind, zeigte auch die Bad Homburger CDU eine Tendenz
zum Streit im Innern. So ist es ihr in sechs Jahren wechselnder Koalitionen
nicht gelungen, den Posten des hauptamtlichen Bürgermeisters zu besetzen. Er
wird vom Parlament gewählt, und dort ist die CDU mit Abstand stärkste Fraktion.
Aber Abweichler in den eigenen Reihen ließen drei Kandidaten durchfallen, auf
die sich die Union eigentlich geeinigt hatte.
Im vergangenen Dezember stellte die CDU
dann ihre Oberbürgermeisterin zur Disposition. Die Spitzen von Partei und
Fraktion meinten, sie zeige sich nach außen zu wenig gesprächsbereit. Der
Fraktionsvorsitzende Alfred Etzrodt, als Leiter der Frauenklinik am örtlichen
Krankenhaus ein populärer Quereinsteiger in die Politik, schien der besser
geeignete Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl. Jungherr setzte sich auf
einem Parteitag knapp gegen ihren parteiinternen Rivalen durch. Seither aber
war sie angeschlagen, und die anschließend zur Schau gestellte Einmütigkeit der
CDU wirkte unglaubwürdig.
An der Arbeit Jungherrs gab es wenig
auszusetzen. Die Stadt ist de facto schuldenfrei und kann es sich leisten,
Kindergartenplätze unentgeltlich anzubieten. Denn die Menschen kommen nicht nur
zum Schlafen her: Mehrere Pharmaunternehmen, Unternehmensberater und
Vermögensverwalter haben hier ihren Sitz, und die Zahl der Einpendler ist höher
als die der Auspendler. Welche Verhältnisse in Bad Homburg herrschen, zeigt der
Vorwurf der Opposition, Jungherr gebe zu wenig Geld aus. Während die
Oberbürgermeisterin also solide wirtschaftete, ließ sie im Umgang mit Bürgerinitiativen
Gesprächsbereitschaft vermissen. Diese wenden sich gegen den Bau einer Schule
oder des neuen Krankenhauses in der Nähe ihrer Wohngebiete. Mit den derart
organisierten Eigenheimbesitzern verlor Jungherr auch zahlreiche CDU-Wähler.
Auch in den Stadtteilen, die noch die alte bäuerliche Struktur erkennen lassen
und mit der noblen Kurstadt nur den postalischen Namen gemein haben, erwies
sich die Union als wenig geschickt. Als die CDU/FDP-Mehrheit jüngst den Bau
einer Sporthalle durchsetzte, wirkte ihr Vorgehen gegenüber den
Ortsteilvertretern arrogant.
Viele Alteingesessene fanden sich deshalb
bei Korwisi wieder. Der hatte auf seinen Plakaten das Grün seiner Partei gegen
das Blau aus dem Stadtwappen getauscht und warb als unabhängiger, aber nicht
parteiloser Kandidat für mehr Gesprächsbereitschaft. Mehr als 700 Personen
verzeichnete seine Wählerinitiative, mehr, als jede andere Partei auf
Stadtverbandsebene Mitglieder hat. Das Alter - ihn trennen von der 62 Jahre
alten Amtsinhaberin nur fünf Jahre - machte ihn zwar nicht gerade zum
Hoffnungsträger künftiger Generationen. Doch gegen den jovialen "Homburger
Bub" trat die spröde Distanz der Juristin an der Verwaltungsspitze nur
umso stärker hervor.
Dass Korwisi die Grünen im Taunus
mitgegründet hat, ihr Fraktionsvorsitzender und in einer schwarz-grünen
Koalition schon einmal fünf Jahre lang hauptamtlicher Dezernent war, geriet ihm
nicht zum Nachteil. Mehr noch als einem völlig unverbrauchten Kandidaten
trauten ihm die Wähler zu, sich in den Fallstricken des Rathauses und gegen
eine andersfarbige politische Mehrheit behaupten zu können.
Den Zahlen nach sind die Wähler, die im
ersten Wahlgang für den SPD-Mann Krug gestimmt hatten, der Empfehlung der
Sozialdemokraten gefolgt und vollständig ins Korwisi-Lager gewechselt. Das
Scheitern Jungherrs ist auch ein Misserfolg des CDU-Kreisvorsitzenden und
hessischen Sozialministers Jürgen Banzer, der 14 Jahre lang Landrat im
Hochtaunuskreis war. Er hätte die Bad Homburger CDU einen müssen. Deshalb war
auch er am Wahlabend in Erklärungsnöten.
Text: F.A.Z., 12.05.2009, Nr. 109 / Seite 3